Mitte der 1990er Jahre krempelte Marco Blancardi die Ärmel hoch und begann damit, verwildertes Terrain im Hinterland von Dolceacqua, im äußersten Westen Ligurien, freizulegen. Er befreite jahrzehntelang brachliegende Olivenhaine und typisch mediterrane Kräuter wie Rosmarin (ergo der Name) Thymian und Lavendel von Gestrüpp und begann daraus Öle und Essenzen herzustellen. 2005 weitete er sein Projekt um einen ersten Weingarten aus, dem er 2009 noch einen weiteren, mit damals 90-jährigen Reben, hinzufügte. 

In einem Kurs über biodynamischen Weinbau lernte er seine heutige Frau Francesca kennen. Sie zog zu ihm nach Perinaldo, wo sie nunmehr gemeinsame Sache machen. Die ist auch zu zweit anstrengend genug. Speziell die Lage Pinella, die Marco 2009 erworben hat, ist steil und mühsam zu bewirtschaften. Trockensteinmauern ermöglichen überhaupt erst Weinbau, müssen aber auch immer wieder gepflegt und ausgebessert werden. Doch lohnt sich der Aufwand auch. Nicht nur, weil die beiden daraus die Basis für einen formidablen Rossese, der großen roten Rebsorte Liguriens, lesen, sondern weil der Weingarten per se alles bietet, was man sich von einem Arbeitsplatz wünschen kann. In ihm wachsen neben Trauben auch Birnen-, Zitronen- und Mandarinenbäume, Rosen, Wildblumen und Kräuter. 

Die Arbeit im Keller, wo sie insgesamt zwei Rotweine aus Rossese keltern, findet ohne jegliche Zusatzstoffe, außer ein wenig SO2 statt. Beide Weine sind weder geschönt noch gefiltert.

Rossese di Dolceacqua Albicella: 15 Jahre alter Weingarten auf Kalkboden in 450 Metern Höhe. Der kühlere Wein von den beiden. Duftig, zart und einladend. Frische rote Frucht, Rosen, Macchia. Reife, mürbe Tannine. Animierend und elegant.

Rossese di Dolceacqua Pinella: 100 Jahre alte Reben auf Flysch in 200 Metern Höhe. Dunkler, weicher, Waldbeeren, Rosen, Pfeffer. Elegant und samtig. Säure und Tannin geben dem Wein Richtung, stehen allerdings nie im Vordergrund. Endet würzig und nachhaltig.

Rosmarinus

Adresse: Località Trume 3, Perinaldo
Telefon: 3284639158 
E-mail: info@rosmarinus.it

Antonio Perrino ist eine jener mythischen Figuren im italienischen Weinbau, die jeder kennt, von der jedoch nur die wenigsten jemals einen Wein getrunken haben. Gründe dafür gibt es gleich mehrere: zum einen hat er gerade einmal sieben kleine Fässer, in denen seine komplette Produktion lagert. Anders ausgedrückt sind das 2100 Flaschen, was selbst für einen Garagenwinzer eine mikroskopische Menge ist.

Winzer seit 1961: Perrino, der seine Weine unter dem Label Testalonga verkauft (womit auch geklärt sein dürfte, woher Craig Hawkins den Namen für seine exzellente Weinserie hat), hat nie Anstalten gemacht, daran etwas zu ändern. Er keltert seit 1961 Wein. Den einen Hektar Weingarten, den er in der Arcagna, einer wild abfallenden Lage in der Nähe von Dolceacqua, bewirtschaftet, hat er seit damals nicht vergrößert. Womit man beim zweiten Grund wäre: Dolceacqua ist zwar wunderschön, liegt aber völlig abseits vitikultureller Trampelpfade oder (wein)kritischer Aufmerksamkeiten im äußersten Nordwesten Liguriens, gerade einmal einen Steinwurf von der französischen Grenze entfernt. Die beiden Rebsorten, die er dort bewirtschaftet, sind Vermentino und Rossese. Ihre Reputation ist überschaubar, ihre Popularität ebenfalls.

Zwei Weine: Was doppelt schade ist. Vermentino, die wesentlich bekanntere der beiden, entfaltet im Idealfall (Antonio) ein Aromasprektrum, das vor allem mediterrane Kräuter (Thymian, Salbei, Rosmarin) und florale Noten (Ginster, Akazien) in die Nase befördert. Bei Antonios Testalonga-Interpretation kann man auch noch salzige Noten dazuaddieren, Terroiraromen, die sich den steinalten (zwischen 50-100 Jahren) Reben verdanken, die ihre Wurzeln vor allem durch dicke Kalkschichten gesprengt haben.

Den 4000 Hektar Vermentino (3300 Hektar davon in Sardinien) stehen ganze 80 Hektar Rossese gegenüber, die sich allesamt in und um Dolceacqua befinden. Louis Dressner, amerikanischer Importeur mit einem profunden Wissen über italiensiche Nischenweine, nannte Rossese einmal, „the most exciting grape I have never heard of“, und tatsächlich gehört Rossese zu jenem Sammelsurium italienischer Sorten, die es wert sind, (wieder)entdeckt zu werden.

Rossese ist sensibel und kompliziert. Erfahrung und alte Stöcke tun folglich gut – Antonio hat beides. Sein Rossese, den er seit nunmehr 55 Jahren vinifiziert, ist ein Manifest für seine kontinuierliche Pflege und – zumindest meiner Ansicht nach – einer der besten unter den filigranen Rotweinen Italiens: Steine & Salz und dazwischen Pfeffer, Thymian, rote Beeren, eine lebendige aber extrem feine und filigrane Textur, Trinkfluss und eine unglaubliche Länge machen klar, warum der betagte Mann völlig zurecht Kultstatus genießt.

ps: Antonio Perrinos Weine entstehen seit seiner ersten Lese in seiner Garage. Anders als seine Bordelaiser Pendants, hat er immer darauf verzichtet, diesen Umstand marketingmäßig auszuschlachten und ist auch preislich stets in Bereichen geblieben, die seine Weine für jeden erschwinglich machen.

 

Beide Weine gibt es in limitierter Menge bei vino nudo in Wien.

Antonio Perrino “Testalonga”
Via Monsignor Laura 2
Dolceacqua (IM)
Tel. 349 3186881
perrino.testalonga@gmail.com

Rebsorten: Vermentino, Rossese
Rebfläche: 1 ha
Manuelle Lese: ja
Dünger: nein
Pflanzenschutz: Kupfer und Schwefel
Biologisch zertifiziert: ?
Direktverkauf: ja
Wohnmöglichkeit: nein

WEINE

Bianco (Vermentino).. ca.€20
Rossese di Dolceacqua.. ca.€23

antonio perrinoRossese ist sensibel, filigran, subtil und hat einen Körper wie ein tuberkulöser Intellektueller. Ihre Farbe ist so transparent wie Kontaktlinsen und heller als Blut, nach ein paar Jahren wechselt sie in ein rostfarbenes Orange. Sie altert miserabel, oxidiert viel zu schnell und macht nur Arbeit. Dass es insgesamt also nur knapp 80 ha davon gibt, ist nachvollziehbar. Dass daraus trotzdem ein paar der besten italienischen Rotweine Italiens gekeltert werden, ist zumindest erklärungsbedürftig.

Rossese spiegelt wie kaum eine andere Sorte ihr Terroir (puuuuh aber stimmt halt). Und das ist mehr als spektakulär. Die 80 ha Rebfläche, die kurz nach dem Krieg angeblich noch bei 600-700 ha lag, befindet sich ausschließlich in den Steilhägen Westligurien, nahe der Grenze zu Frankreich. Das Meer ist stets in Sichtweite, doch mag der Rossese, wie könnte es anders sein, das Meer und sein Klima nicht. Er mag es alpin, besser gesagt, subalpin. Alles was über 600 Meter hoch ist, lässt ihn schwindeln. Zwischen 400 und 599 Meter fühlt er sich wohl und ist dieses Kriterium erst mal erfüllt und ist der Boden dann auch noch ein gut wasserdurchlässiges Kalk-Sand-Gemisch, wird es richtig spannend. Dann kann man sukzessive in eine Welt eintauchen, die Salz und Steine miteinander kombiniert und in guten Momenten auch noch Rosen, Preiselbeeren, Erdbeeren und mediterrane Kräuter dazuaddiert. Die Tannine sind generell weich, die Säure ist es nicht. Aber sie ist halt auch nicht unangenehm, sondern genau in dem Ausmaß vorhanden, dass sie den Weinen ihren ganz elementaren Kick mit auf den Weg geben. Wer beizeiten an guten Pinot denkt, braucht sich nicht zu schämen.

Gepflanzt wurde Rossese angeblich schon von den Griechen. Oder von den Etruskern. Ganz sicher ist man sich diesbezüglich eigentlich überhaupt nicht. Und um die Sache noch zusätzlich zu verkomplizieren, habe ein paar Ampelologen vor ein paar Jahren rausgefunden, dass sich die Rossese die ihre DNA mit der provencalischen Tibouren teilt. Sie könnte folglich auch aus Frankreich eingewandert sein.

Nicht ganz so wackelig scheint das Terrain bezüglich der historischen Anhängerschaft des Rossese zu sein. Andrea Doria, der legendäre genuesische Kapitän, nach dem in späteren Jahren Italiens Version der Titanic (dasselbe Schicksal) benannt wurde, motivierte damit seine Truppe, Papst Paul III versüßte sich nach eigenen Worten den Lebensabend damit und Napoleon schickte vorsichtshalber ein paar Fässer davon in seine bevorzugten Pariser Tavernen. Die haben auch heutzutage wieder ein paar Exemplare davon eingebunkert.

Rossese ist zwar Tibouren, allerdings ist Rossese nicht unbedingt gleich Rossese. Die oben angesprochene Diva ist Rossese di Dolceacqua, es gibt aber auch noch die Rossese di Campochiesa, die allerdings sowohl morphologisch wie auch sensorisch ziemliche Unterschiede aufweist und mit dem Rossese di Dolceacqua nicht mithalten kann. Dann gibt es sinnigerweise auch noch eine weiße Version, Rossese Bianco, eine Mutation und ein nettes Oxymoron, von dem ich nicht die geringste Ahnung habe, wie sie schmeckt.

Wer richtig guten – den besten – Rossese trinken will, sollte sich an Antonio Perrinos Testalongainterpretation versuchen. Rossese di Dolceacqua ist zwar keine ONE-MAN-BAND, allerdings setzt Antonio Maßstäbe, an denen sich alle anderen bisher abarbeiten. Antonio hat 50 Jahre Erfahrung in den mitunter steilsten Lagen Liguriens in den Knochen und das schmeckt man. Salz & Steine, Steine & Salz und dazwischen Pfeffer, Thymian, rote Beeren, eine lebendige aber extrem feine und filigrane Textur, Trinkfluss und eine unglaubliche Länge. Dekantieren sollte man nicht, da zu viel Luft ausnahmsweise eher schadet.

Abgesehen von Antonios 110 Punkte-Wein (den man übrigens bei vinonudo in Wien für knapp €20 bekommt) sollte man sich auch noch über folgende Rossese di Dolceacqua hermachen, die allerdings derzeit im deutschsprachigen Raum noch unauffindbar sind:

 

Tenuta Selvadolce (ebenfalls fantastisch, biodynamisch)

Danila Pisano (bio)

BioVio (bio)


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