GRIGNOLINO

Hätte man Robert Parker 1982 Grignolino statt Chateau Latour eingeschenkt, wäre die Weinwelt heute eine andere.

Er wäre vermutlich Jurist geblieben und hätte als letzte vinophile Handlung beim Konsumentenschutzverband des Alto Monferrato eine Petition mit der Aufforderung eingereicht, die Sorte entweder ausreißen zu lassen oder zumindest zweimal durch eine Osmosemaschine durchzujagen.

Man mag sich gar nicht vorstellen, was die wenigen Produzenten, die auch in den alkohol- und holzschwangeren Zeiten der 1990er und frühen 2000er Jahre stur auf die Sorte setzten, an Schmähungen erdulden mussten. Grignolino stellt ziemlich exakt das Gegenteil von dem dar, was damals als elementar für große Rotweine erachtet wurde. Statt ebenholzschwarz, geschmeidig und samtig zu sein, ist ihr selbst nach monatelanger Mazeration nicht mehr als ein leicht angedunkeltes Rosa zu entlocken. Mit neuem Holz braucht man gar nicht erst anrücken und die Aromen decken ein Spektrum ab, das lieber Blüten und weißen Pfeffer in den Vordergrund rückt als Heidelbeeren, Brombeeren, Schokolade, Zigarrenkisten oder Vanilleschoten aus Madagaskar.

Tatsächlich hielt man Grignolino aufgrund dieser Attribute lange für die Mutation einer weißen Sorte. Luigi Veronelli, der größte unter den vielen großen Weinkritikern Italiens, meinte sie wäre anarchistisch & individualistisch. Als wäre das noch nicht genug, haben zudem findige Linguisten eruiert, dass sich Grignolino vom piemontesischen Dialektausdruck grignolè ableitet, was sich – eine onomatopoetische Referenz an die bisweilen robuste Säure und aggressiven Tannine – mit das Gesicht verziehen und mit den Zähne knirschen übersetzen lässt.

Und doch gibt es Leute, die Grignolino nicht nur mögen, sondern sie für eine der großen Unbekannten im italienischen Rebsortenuniversum halten; mich zum Beispiel, oder aber Ian d’Agata, dessen fulminantem Buch Native Wine Grapes of Italy essentielle Informationen zur Sorte entnommen sind.
Darin liest man beispielsweise, dass Grignolino im 13. Jahrhundert erstmals erwähnt wurde und damals auf der gleichen Stufe stand wie Nebbiolo, also ziemlich hoch oben. Im Laufe der Jahrhunderte räumte sie freilich ihren Platz im Olymp, was der Rebsorte insofern schlecht bekam, da sie einzig in exzellenten Lagen zeigt, was in ihr steckt. Die allerdings nahmen zunehmend andere Sorten ein und während Nebbiolo sukzessive zum Wein der Könige aufstieg, trat Grignolino zur gleichen Zeit den Abstieg in die Bauernhütten des Monferrato an.

Von einer Renaissance des Grignolino in den letzten 15 Jahren zu sprechen, wäre zu hoch gegriffen, doch fällt auf, dass sich immer mehr exzellente Winzer mit der Sorte beschäftigen. In den richtigen Händen, vor allem jedoch in den richtigen Lagen, entwickelt Grignolino eine subtile und ausgewogene Textur, die unbeschwert und spielerisch Säure und Tannin integriert und neben Blütenaromen und Pfeffer, vor allem rote Beeren und je nach Terroir, steinige, kühle, erdige und salzige Details offeriert. Der Alkohol ist auch bei späten Lesen generell niedrig, dass Reifepotenzial guter Grignolinos hingegen erstaunlich.
Grignolino steht auch heute noch in deutlicher Opposition zu den üblichen Erwartungen, die an Rotweine gestellt werden. Sie bedarf erklärender Worte und manchmal auch einen Fürsprecher mit gewichtiger Stimme. Und so hilft die Tatsache, dass Jorge Bergoglio alias Papst Franziskus Grignolino zu seinen Lieblingssorten zählt, ganz sicher, seine Reputation zu steigern.

Eine Auswahl

Luigi Spertino
Auriel
Cascina Tavjin
Trinchero
Tenuta Migliavacca
Tommaso Gallina
Crealto: Alvesse
Cavalotto
Carussin

Rebfläche: 900ha

Anbaugebiet: Piemont, 2 DOC: Grignolino d’Asti, Grignolino del Monferrato