Rossese – Liguriens Antwort ans Burgund
Rossese ist sensibel, filigran, subtil und hat einen Körper wie ein tuberkulöser Intellektueller. Ihre Farbe ist so transparent wie Kontaktlinsen und heller als Blut, nach ein paar Jahren wechselt sie in ein rostfarbenes Orange. Sie altert miserabel, oxidiert viel zu schnell und macht nur Arbeit. Dass es insgesamt also nur knapp 80 ha davon gibt, ist nachvollziehbar. Dass daraus trotzdem ein paar der besten italienischen Rotweine Italiens gekeltert werden, ist zumindest erklärungsbedürftig.
Rossese spiegelt wie kaum eine andere Sorte ihr Terroir (puuuuh aber stimmt halt). Und das ist mehr als spektakulär. Die 80 ha Rebfläche, die kurz nach dem Krieg angeblich noch bei 600-700 ha lag, befindet sich ausschließlich in den Steilhägen Westligurien, nahe der Grenze zu Frankreich. Das Meer ist stets in Sichtweite, doch mag der Rossese, wie könnte es anders sein, das Meer und sein Klima nicht. Er mag es alpin, besser gesagt, subalpin. Alles was über 600 Meter hoch ist, lässt ihn schwindeln. Zwischen 400 und 599 Meter fühlt er sich wohl und ist dieses Kriterium erst mal erfüllt und ist der Boden dann auch noch ein gut wasserdurchlässiges Kalk-Sand-Gemisch, wird es richtig spannend. Dann kann man sukzessive in eine Welt eintauchen, die Salz und Steine miteinander kombiniert und in guten Momenten auch noch Rosen, Preiselbeeren, Erdbeeren und mediterrane Kräuter dazuaddiert. Die Tannine sind generell weich, die Säure ist es nicht. Aber sie ist halt auch nicht unangenehm, sondern genau in dem Ausmaß vorhanden, dass sie den Weinen ihren ganz elementaren Kick mit auf den Weg geben. Wer beizeiten an guten Pinot denkt, braucht sich nicht zu schämen.
Gepflanzt wurde Rossese angeblich schon von den Griechen. Oder von den Etruskern. Ganz sicher ist man sich diesbezüglich eigentlich überhaupt nicht. Und um die Sache noch zusätzlich zu verkomplizieren, habe ein paar Ampelologen vor ein paar Jahren rausgefunden, dass sich die Rossese die ihre DNA mit der provencalischen Tibouren teilt. Sie könnte folglich auch aus Frankreich eingewandert sein.
Nicht ganz so wackelig scheint das Terrain bezüglich der historischen Anhängerschaft des Rossese zu sein. Andrea Doria, der legendäre genuesische Kapitän, nach dem in späteren Jahren Italiens Version der Titanic (dasselbe Schicksal) benannt wurde, motivierte damit seine Truppe, Papst Paul III versüßte sich nach eigenen Worten den Lebensabend damit und Napoleon schickte vorsichtshalber ein paar Fässer davon in seine bevorzugten Pariser Tavernen. Die haben auch heutzutage wieder ein paar Exemplare davon eingebunkert.
Rossese ist zwar Tibouren, allerdings ist Rossese nicht unbedingt gleich Rossese. Die oben angesprochene Diva ist Rossese di Dolceacqua, es gibt aber auch noch die Rossese di Campochiesa, die allerdings sowohl morphologisch wie auch sensorisch ziemliche Unterschiede aufweist und mit dem Rossese di Dolceacqua nicht mithalten kann. Dann gibt es sinnigerweise auch noch eine weiße Version, Rossese Bianco, eine Mutation und ein nettes Oxymoron, von dem ich nicht die geringste Ahnung habe, wie sie schmeckt.
Wer richtig guten – den besten – Rossese trinken will, sollte sich an Antonio Perrinos Testalongainterpretation versuchen. Rossese di Dolceacqua ist zwar keine ONE-MAN-BAND, allerdings setzt Antonio Maßstäbe, an denen sich alle anderen bisher abarbeiten. Antonio hat 50 Jahre Erfahrung in den mitunter steilsten Lagen Liguriens in den Knochen und das schmeckt man. Salz & Steine, Steine & Salz und dazwischen Pfeffer, Thymian, rote Beeren, eine lebendige aber extrem feine und filigrane Textur, Trinkfluss und eine unglaubliche Länge. Dekantieren sollte man nicht, da zu viel Luft ausnahmsweise eher schadet.
Abgesehen von Antonios 110 Punkte-Wein (den man übrigens bei vinonudo in Wien für knapp €20 bekommt) sollte man sich auch noch über folgende Rossese di Dolceacqua hermachen, die allerdings derzeit im deutschsprachigen Raum noch unauffindbar sind:
Tenuta Selvadolce (ebenfalls fantastisch, biodynamisch)
Danila Pisano (bio)
BioVio (bio)
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