Kampanien – ein Portrait
Wer wissen will, was italienischen Wein ausmacht, sollte nach Kampanien aufbrechen. In Neapel kann man neben all dem, was man sonst so in Neapel machen kann, auch mal einen Tag an der Peripherie und also die Campi Flegrei einplanen und sich durch Piedirosso und Falanghinaversionen trinken, die einem die Rückkehr in die Stadt nicht erleichtern werden. Und nachdem der Vesuv ohnehin obligatorisches Ausflugsziel für alle Neapelbesucher ist, braucht man nur den Blick etwas in die Weite schweifen lassen, um auch an seinen Hängen Weingärten und Weingüter zu entdecken.
Richtig spannend wird es allerdings, wenn man sich ein Auto mietet und nach Norden, Osten oder Süden aufbricht. Wein findet man dabei überall, die besten und spannendsten Appellationen liegen freilich knapp eine Stunde entfernt rund um Avellino. Taurasi, Greco di Tufo und Fiano di Avellino sind drei DOCGs, deren Vergangenheit in die frühesten Stunden des italienischen Weinbaus zurückreicht, deren Zukunft allerdings weiterhin spektakuläre Weine verspricht. Grund dafür ist ein seit jeher selbstbewusster Umgang mit den eigenen Rebsorten, auf die man selbst in Zeiten stumpfsinniger und kurzsichtiger Internationalisierung kompromisslos setzte. Bei kürzlich durchgeführten Studien zur Bestimmung des Alters diverser Rebstöcke, stieß man auf Exemplare, die in einer Zeit gepflanzt wurden, in der Carolus Franciscus Josephus Wenceslaus Balthasar Johannes Antonius Ignatius Habsburg alias Karl VI noch König von Neapel war.
Das Festhalten an alten Sorten trifft übrigens nicht nur auf die Ecke um Avellino sondern auf ganz Kampanien zu. Die in der Toskana, dem Friaul oder Veneto immer wieder präsente Merlot führt mit ganzen 300 auf den insgesamt 22200 Hektaren ein Schattendasein; Chardonnay, Cabernet oder Sauvignon Blanc tauchen in der Liste der wichtigsten 20 Sorten der Region gar nicht erst auf. Mit 34,1% und insgesamt 7600 Hektar gibt die Aglianico den Ton an und jeder, der sich schon mal mit der Sorte beschäftigt hat, weiß, auf welchen Schatz die Kampanier da sitzen. Ian d’Agata, die profundeste Stimme, wenn es um italienische Rebsorten geht, meint, dass Aglianico zu den großen roten Rebsorten der Welt gehört und in einem Atemzug mit Nebbiolo und Sangiovese genannt werden sollte. Vor allem mit Nebbiolo, mit dem sie aromatische und stilistische Ähnlichkeiten teilt, wobei Aglianico zwar nicht vielschichtiger aber variabler erscheint. Während einfache Nebbioli nicht so recht funktionieren wollen, kann man mit Aglianico jenseits dichtgewobener Meisterwerke auch simple Tischweine keltern, die Spaß machen und doch Tiefe haben.
Epizentrum der Aglianico ist Taurasi, wie schon der Vesuv und die Campi Flegrei davor, altes Vulkanland, das aber immer wieder durch Kalkhügel und Flyschformationen durchbrochen wird und der Geologie und damit auch den Weinen eine gewisse Diversität verleiht. Die Topographie ist meist sanft hügelig, bisweilen jedoch auch steil und steinig und genau dort, wo es auch nachts entsprechend kühl wird, sind dann auch die mitunter besten Interpretationen der Sorte (Luigi Tecce – sehr kräftig, die Contrade de Taurasi – die elegantere Variante) zu finden. Direkt an Taurasi schließen die beiden Weinenklaven Tufo und Avellino und mit ihnen Greco und Fiano an, zwei weißen Sorten, die sich längst aus dem Schatten der großen roten Sorte verabschiedet haben und seit einiger Zeit ebenfalls im Rampenlicht italienischer Weintrinker stehen – die besten oder zumindest die am besten vermarkteten Exemplare haben auch den Sprung über die Grenze geschafft.
Das kann man von den übrigen Weinen Kampaniens kaum sagen. Die Weine rund um Amalfi und Salerno kennen zumindest diejenigen, die dort Urlaub gemacht haben, während Sannio, das Cilento oder Aversano weiterhin vitikulturelle Terra Incognita sind. Zu entdecken gäbe es allerdings mehr als genug. Allen voran wiederum ein Rebsortenensemble, das mit der Falanghina (vor allem in Sannio), der originell benannten Coda di Volpe (Fuchsschwanz) und der Asprinio (auch kein idealer Name) drei weitere weiße Trümpfe aus dem ampelographischen Talon hervorzaubert, die man beizeiten kosten sollte: Ergänzt wird das Trio von den roten Piedirosso, Sciscinoso, Tintore (der daraus gekelterte Rosè von Monte di Grazia ist eines der unbekannten Meisterwerke Kampaniens), Casavecchia, Barbera del Sannio und noch eine ganze Menge anderer Sorten, die leider nur selten ihre lokalen Welten verlassen.
Wer nach all den Exkursionen durch das kampanischen Festland noch immer nicht genug hat, kann von Neapel aus nach Ischia oder Capri übersetzen und dort mit Meerblick weitermachen. Während der Capri Bianco sich der Falanghina und der Greco bedient, hat Ischia mit der Biancolella sogar eine eigene Rebsorte zu bieten.
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