Es ist nie zu spät oder fürchtet euch nicht, wie die Freunde vom „Weinskandal“ predigen, war das Motto des gestrigen Tages. Also habe ich Mama ins Auto gepackt und wir sind hoch in die Colli Euganei, hinauf zu Marco Buratti gefahren, den wohl radikalsten Proponenten des Naturweins jenseits des Sausals (und Karl Schnabels phänomenale Interpretation des Begriffs). Und siehe da: Neugierde siegte über die Angst und das obwohl es bei Marco aussah, als hätte eine Bombe in Haus und Keller eingeschlagen! Am Ende des Tages verließ meine Mama La Farnea, Marcos Weingut, bewaffnet mit 12 Flaschen ungeschwefeltem Merlot, einem Berg Kakis, einem Tokaj-Experiment und dem Versprechen wiederzukommen.
Am Anfang des Tages kämpften wir uns die Serpentinen der Colli Euganei hinauf, einem geologischen Sonderfall inmitten der Po-Ebene. Mitten im Flachland erheben sich gut und gerne 20 Vulkankegel, die eigentlich schon für sich einen Besuch wert wären, die man aber doch gerne rechts liegen lässt, vermutlich weil man mit den an ihrem Fuße liegenden Thermen von Abano und Montegrotto Siechtum, Gebrechen und den letzten Urlaub der Urgroßeltern verbindet. Mag alles wahr sein, dahinter freilich öffnen sich ein paar Quadratkilometer, die vollgepflastert sind mit klassischen Osterien, Olivenbäumen, runtergekommenen Kastellen und Villen, alten Kirchen, Petrarcas Geburtshaus und eben auch einer guten Handvoll Bio- und Naturweinwinzer, von denen Marco in seiner konsequenten Radikalität nochmals herausragt.
Bis gestern hatte ich nur von seinen Weinen gehört, er selbst verweigert sich jeder Naturweinveranstaltung. Auf emails hatte er nie geantwortet, Telefonanrufe nicht beantwortet gegen unsere brutale Überrumpelung war er dann allerdings chancenlos. Er hat es uns nicht übelgenommen, vermute ich. Wir bekamen eine zweistündige Führung durch das Chaos und Fassproben des neuen Jahrgangs und plauderten über Sulfite beziehungsweise über die Tatsache, dass er keine verwendet – nie. Und es auch nie getan hat. Er ist da recht dezidiert und nicht besonders tolerant – so vertritt er die These, dass man das Wort Naturwein nur dann in den Mund nehmen sollte, wenn sich außer Trauben nichts, aber auch gar nichts anderes im Wein befindet. Das hat ihm nicht nur Freunde beschert, im Gegenteil. Er ist ein Solitär in den Hügeln und darüber hinaus. Verbündete ortet er im Lazio bei Gianmarco Antonuzi von Le Coste (ganz großartig) und bei Angiolino Maule von La Biancara im Veneto, den er zwar als Winzer schätzt als Organisator von vinnatur allerdings weniger – der mache dort zu viele Kompromisse und die sind seine Sache nicht.
Vom ersten Wein vor 10 Jahren bis heute, war die einzige größere Anschaffung für den Keller, jenseits der Fässer und Betonzisternen eine Pumpe, mit der er die verschiedenen Chargen seiner Weine zusammenführt. Allzu oft muss er auch die nicht verwenden, da er auf zwei Hektar maximal 5000 Kilo Trauben liest. Die Presse hat er vom Großvater eines Freundes und den Bottich dazu vermutlich vom Großvater des Großvaters. Aber genug der Familienbanden.
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