Ich habe vor kurzem Clark Smiths Buch Postmodern Winemaking gelesen. Smith schwört auf Mikrooxidation und künstliche Alkoholreduzierung bei seinen Weinen – das muss man nicht mögen aber immerhin macht er auch kein Geheimnis daraus. Gleichzeitig widmet er sich in einem Kapitel aber auch dem „Nonsense natural wine“. Viel Nonsense lässt sich darin nicht finden, im Gegenteil, irgendwann hat man das Gefühl, dass Clark diese Weine eigentlich ganz gerne trinkt. Was das eher mäßige Resümee spannend macht, ist dann allerdings eine wirklich interessante Frage, die sich CS stellt: Why are there no rules for natural wine?
Tja, WHY? Es gibt Regeln für Bioweine, biodynamische Weine, für koschere und konventionelle Weine, einzig Naturweine stehen ohne einen Katalog aus Gesetzen und Regeln da. Die Anarchisten unter uns mögen das richtig gut finden und die Neoliberalen sowieso, dezidierte Naturweinwinzer allerdings sollten über diese Tatsache eher bestürzt sein.
Lässt man die letzten Jahre kurz Revue passieren, wird man selbst als Freund konventioneller Weine nicht umhin können zuzugeben, dass die Naturweinnische für eine Menge spannender Momente maßgeblich entscheidend war. Naturweinwinzer sind ein experimentierfreudiger Menschenschlag, eine Avantgarde, die – so paradox das klingen mag – oft auf weit zurückliegende Traditionen zurückgreift und diese entweder wieder schmeckbar macht oder aber neu interpretiert. Einige dieser Innovationen wurden in der Zwischenzeit stillschweigend und manchmal auch recht laut von konventionellen Winzern übernommen (dagegen spricht nichts, im Gegenteil) und bisweilen hat man die Gelegenheit auch gleich genutzt, um sich das Wort natürlich auszuborgen. Das ist schon etwas heikler, da ein bisschen Maischegärung oder ein Betonei einen Wein zwar oft spannender aber nicht wirklich natürlicher machen, da es allerdings keine Regeln und Gesetzgebungen gibt, spricht dagegen naturgemäß auch nichts.
Wein ist ein Kulturprodukt und folglich ist kein Wein im eigentlichen Sinne ganz natürlich – Winzer treffen generell Entscheidungen, im Weingarten wie im Keller. Zwischen minimaler und maximaler Intervention gibt es allerdings eine Anzahl von Abstufungen, die von quasi NULL bis zu einem intensiven Einsatz diverser Chemikalien und technologischer Prozesse reichen. Da ein nicht unwesentlicher Teil davon auch in den Kellerrichtlinien der Bioweinverordnung aus dem Jahr 2012 zugelassen ist, Naturweinwinzer allerdings (zumindest in meiner Interpretation) auf Reinzuchthefen, Hefenährstoffe, Schönungsmittel, Enzyme, Chaptalisierung etc. verzichten und Schwefeldioxid nur in geringen Mengen einsetzen, wäre ein eigenes Regulativ für Naturwein eigentlich eine Notwendigkeit.
Was kann man also tun, um zu demonstrieren, dass man als Winzer minimalst interveniert oder aber als Konsument an eine Flasche Wein kommt, an der möglichst wenig manipuliert wurde. Da von offizieller Seite wenig Interesse vorhanden zu sein scheint, am Status Quo etwas zu ändern, ist es vorerst wohl das beste sich kleineren und größeren Institutionen und Gruppierungen, die ihre eigenen, teils rigorosen Regeln aufstellen, anzuschließen oder sich an ihnen zu orientieren.
In einer kleinen Serie werden vino e terra & nulldosage die Richtlinien diverser Organisation vorstellen. Den Anfang macht aus gutem Grund VinNatur: Ca. 150 Mitglieder stark, mit schwerem italienischen Einschlag, der jedoch auch 7 Spanier, 25 Franzosen, 2 Portugiesen, 7 Slowenen, 1 Tscheche, 4 Österreicher (Muster, Werlitsch, Tauss, Tscheppe) und seit kurzem immerhin auch 1 Deutscher (Weingut Schmitt) angehören, hat die Vereinigung das vermutlich ausgeklügeltste bzw. nachvollziehbarste Regulativ.
Ich bin kein Übersetzer, insofern bitte ich um ein wenig Toleranz.
REGELWERK VinNatur (beschlossen am 15. Juli 2016)
Die Vereinigung VinNatur hat sich die Förderung und Produktion von Qualitätswein mithilfe natürlicher, mit dem Territorium verbundener, Methoden zum Ziel gesteckt.
In Übereinstimmung mit diesem Ziel, ist der von den Mitgliedern von VinNatur produzierte Wein, von einem entscheidenden Charakteristikum getragen: er ist frei von jeglicher Art von Pestiziden. Das wiederum wird durch alljährlich stattfindende Analysen garantiert, die die Vereinigung bei den Weinen ihrer Mitglieder vornimmt.
Alle von den Mitgliedern von VinNatur produzierten Weine stammen ausnahmslos von den Trauben eigener und vom Winzer selbst kultivierter Weingärten, die nach Methoden bewirtschaftet wurden, wie sie in Punkt 1 aufgelistet sind.
Sämtliche von den Mitgliedern von VinNatur produzierten Weine sind nach Kriterien vinifiziert wie sie in Punkt 2 angeführt sind.
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Im Weingarten
Die Weingartenbewirtschaftung folgt dem Ziel gesunde Pflanzen zu kultivieren, die bereits prophylaktisch eine erhöhte Resistenz gegen potenzielle Widrigkeiten (Krankheiten, Trockenheit, Mangelerscheinungen) aufweisen. Der Bodenfruchtbarkeit (Biodiversität) und dem ökologischen Gleichgewicht im Weingarten wird folglich entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt.
Zugelassene Praktiken:
- Organische Düngung (Tiermist, Kompost)
- Begrünung (Gründünger, cover crop)
- Wilde/autochthone Begrünung
- Herbstliche Belüftung und Bearbeitung des Bodens mit dem Ziel, dessen Durchlässigkeit und Struktur zu verbessern
- Mechanische Geräte zur Entfernung von Unkraut, Begrünungen etc.
- Die Verwendung von Produkten auf Schwefelbasis gegen Oidium (begrenzt auf 60 kg/ha pro Jahr)
- Die Verwendung von Produkten auf Kupferbasis gegen Peronospora und Eutypiose (max. 3 kg Kupfer/ha pro Jahr) mit dem Ziel diese sukzessive zu minimieren.
- Die Verwendung von in der Natur vorkommenden Produkten, Stärkungsmittel wie beispielsweise Pflanzenextrakte, Algen, Propoli, Pilze oder antagonistische Mikroorganismen, die es erlauben, den Einsatz von Kupfer und Schwefel zurückzuschrauben oder gänzlich zu ersetzen.
- Tröpfchenbewässerung in Notfällen
- Handlese
Nicht erlaubte Praktiken:
- Mineral- und Kunstdünger
- Herbizide oder chemisches Austrocknen (?)
- Die Verwendung synthetischer oder zytotropischer Schädlingsbekämpfungsmittel
- Die Verwendung von Phosphonsäure
- Die Verwendung von Insektiziden
- Maschinelle Lese
- Der Anbau von cisgenen oder genetisch manipulierten Reben oder die Verwendung von OGM Derivaten
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Im Keller
Erlaubte Praktiken:
- Spontane Gärung mit wilden Hefen
- Temperaturkontrolle des Mosts oder Wein, um eine korrekte Entwicklung der Gärung zu garantieren
- Einzig zugelassenes Additiv während der Weinbereitung ist Schwefeldioxid (entweder in reiner Form oder als Kaliumdisulfit). Der abgefüllte Wein darf bei Weiß-, Schaum- und Süßweinen nicht mehr als 50mg/Liter und bei Rotweinen und Rosè nicht mehr als 30mg/Liter Gesamtschwefel aufweisen. [Jeder Winzer] hat die Verpflichtung die Anwendung von Schwefeldioxid bis zu seiner völligen Aufgabe zu minimieren.
- Die Verwendung von Luft bzw. Sauerstoff zwecks Anreicherung derselbigen im Wein
- Die Verwendung von Kohlendioxid, Stickstoff oder Argon, um den Wein vor Luft zu schützen
- Filtration mit inerten Filtern, deren Poren größer als 5 Mikrometer (Weißweine) und größer als 10 Mikrometer (Rotweine) sind.
Nicht erlaubte Praktiken:
- Klärung durch Produkte auf Basis von Albumin, Kasein, Bentonit und Pflanzenkohle oder mit pektolytischen Enzymen
- Die Verwendung von Reinzuchthefen (auch wenn sie im Regelwerk der EU zum biologischen Wein erlaubt sind), Enzyme, Lysozyme oder Milchsäurebakterien
- Die Verwendung jedweden Additivs mit der Ausnahme von Schwefeldioxid (und innerhalb der Grenzen wie sie im Paragraph oben angeführt sind)
- Invasive Praktiken, um die dem Wein innewohnenden Charakteristika zu verändern, beispielsweise: Wegnahme/Reduzierung des Alkohols, thermische Behandlungen über 30°C, Aufkonzentration durch Umkehrosmose, Auf- bzw. Entsäuerung, Elektrodialyse und die Verwendung von Ionenaustauschern, Eliminierung von Schwefeldioxid durch physikalische Verfahren, Mikrofiltration
Kontrollplan
Mit dem Ziel die Einhaltung der Produktionskriterien der Mitglieder zu verifizieren, hat VinNatur einen Kontrollplan entworfen, der von einem vom MIPAAF (Landwirtschafts- und Forstministerium) anerkannten Zertifikationsinstitut zur Anwendung gebracht wird.
Identifizierung und Etikettierung
Das primäre Ziel dieses Regelwerks ist die transparente und deutliche Darlegung und Kommunikation der landwirtschaftlichen Techniken und Vinifikationsmethoden für all jene, die eine Flasche Naturwein von [Mitgliedern] von VinNatur kaufen wollen.
Um das zu erreichen liegt es nahe die Produktionsnormen , die jedes Mitglied von VinNatur zu respektieren versucht, durch ein einfaches und wiedererkennbares Symbol deutlich zu machen.
Aus diesem Grund halten wir es für nützlich (sinnvoll), dass jedes Mitglied (unverbindlich) die Möglichkeit hat, auf alle seinen Etiketten folgende Angaben anzubringen:
- Die Menge an Gesamt-SO₂ (mg/l) zum Zeitpunkt der Abfüllung (von offizieller Stelle durchgeführt)
- Symbol der Vereinigung
Winzer, die die Auflagen nicht unterschreiben und die Normen im Regelwerk nicht respektieren wollen oder können, werden in Zukunft (ab der Lese 2017) nicht mehr Mitglieder von VinNatur sein.
Mitglied von VinNatur zu sein ist eine Wahl, keine Verpflichtung.