Latium ist eine Region im Umbruch. Von den insgesamt 20000 Hektar, die zwischen den Colli Etruschi an der toskanischen Grenze bis ans tyrrhenische Meer bei Terracina gepflanzt sind, gehören 13000 reichlich belanglose Hektar dem Trebbiano Toscano, der Malvasia di Candia und dem Merlot. Im seltensten Fall wird daraus Bemerkenswertes gekeltert, vielmehr nutzt man die Nähe zu Rom, um in den unzähligen Bars und Tavernen mit Hilfe von ein wenig Lokalkolorit und der generell exzellenten römischen Küche auch die simpelsten Weine irgendwie aufzuwerten. Das funktioniert zwar immer noch einigermaßen, doch langsam aber sicher sollte es auch den abgezocktesten Frascati-Produzenten dämmern, dass man auf Dauer selbst bei den anspruchslosesten polnischen Papa Wojtyla-Pilgern mit diesem Zeug nicht punkten kann. Gute Frascati (die Primo Riserva von Merumalia wäre ein Beispiel) sind zwar immer noch Mangelware, dafür gärt es mittlerweile auf den restlichen 7000 Hektar der Region ordentlich (und machmal sogar spontan).

Latium kann man akribisch in 3 DOCGs, unfassbare 27 DOCs und 6 IGTs oder aber grob in drei Regionen aufteilen: die erste zieht sich die Küstenebene hinunter und wurde soeben ausreichend beschrieben. Die zweite liegt nördlich von Rom und bildet einen fließenden Übergang zur südlichen Toskana mit der sie vieles, vor allem aber die Rebsorten teilt. Epizentrum des nördlichen Latiums ist die Gegend rund um den Lago di Bolsena, wo ein paar junge Winzer eine Handvoll kleiner Projekte gestartet haben, die sich die idealen natürlichen Voraussetzungen zu Nutze machen und ihren Nachbarn aus dem Norden die Qualitätslatte kontinuierlich immer höher legen.  Schon die Etrusker nutzten die Vorteile, die ihnen das alte Vulkanland bot. In sanft zum See abfallenden Hügel setzten sie Rebstöcke zwischen Olivenbäume und Weizen und legten die Basis für eine Weinkultur, die später von den Römern weiter verfeinert wurde. Aufgegeben wurden die Rebflächen rund um den See nie, doch schlummerte das ganze Potenzial alter Rebstöcke auf vulkanischen Böden ähnlich wie am Ätna über Jahrzehnte und Jahrhunderte vor sich hin. Ignoriert von der nationalen und internationalen Weinkritik konnte man zwar vermutlich immer wieder exzellente, von erfahrenen Bauern gekelterte Weine trinken, der Schritt über die lokalen Grenzen fand allerdings erst in den letzten paar Jahr statt. Es sind – diesmal anders als am Ätna – kleine Schritte von wenigen Winzer. An vorderster Stelle dieser Avantgarde stehen Gianmarco Antonuzi und Clémentine Bouveron mit ihrem Weingut Le Coste. Seit 2005  keltern die beiden extrem eigenständige, originelle, persönliche und dabei eben auch beeindruckende Weine aus Greghetto, einem Bioyp des Sangiovese, Aleatico und Procanico (einer Trebbianospielart). Experimente und der Wunsch, den Weinen und der Region immer wieder neue Facetten abzuringen, haben oberste Priorität und so kommt es immer wieder zu neuen Interpretationen und außergewöhnlichen Weinen. Aus ihrem Schatten treten nun langsam auch andere Winzer (Il Vinco, Andrea Occhipinti, Podere Orto) die mit ähnlichen Intentionen individuelle und eigentümliche Weine produzieren, die man allesamt, wenn man denn will, unter dem Begriff „vini naturali“ subsummieren kann. Man kann in ihnen aber auch ganz einfach Winzer sehen, die auf vorgegebene Geschmacksbilder pfeifen und mittels Bioweinbau und traditionellen Vinifikationsmethoden exzellente Weine keltern und damit gleichzeitig ihrem Umgebung wieder ein bisschen Weinkultur einflößen.

Die – zumindest meiner Ansicht nach – spannendste Region Latiums befindet sich allerdings südlich von Rom, genauer in den Enklaven Piglio, Olevano Romano und Affile, wo ein knappes Dutzend Winzer (Tendenz steigend) dem immensen Potenzial der Cesanese auf den Grund geht. Dass man es an den Abhängen am Fuß der Monti Prenestini mit bestem Weinland zu tun hat, wusste schon der nicht nur in rechtlichen Fragen beschlagene römische Kaiser Nerva, der sich, der exzellenten Weine in Piglio wegen, dort eine Villa bauen ließ. Dass mag dann auch der ausschlaggebende Grund dafür sein, warum man einzig den Rebflächen um Piglio DOCG-Status zugestanden hat, während sich die Regionen um Olevano Romano und Affile lediglich ein DOC aufs Etikett drucken dürfen (aber nachdem sich die besten Winzer eigentlich fast immer mit einem simplen IGT-Status begnügen, ist die Kategorisierung und Hierarchisierung der Weine und Regionen ohnehin mehr als fragwürdig).

Cesanese ist eine rote Rebsorte, die im Verbund mit einigen anderen autochthonen Sorten Italiens gerade ihre berechtigte Renaissance feiert. Bis vor kurzem wuchs sie einzig in der von Kalk dominierten Topographie der drei erwähnten Regionen, in der Zwischenzeit haben auch Winzer außerhalb Latiums begonnen, sich intensiv mit der Sorte zu beschäftigen – allen voran die Tenuta di Trinoro in der Toskana, die brillante Weine daraus fabrizierte, sich allerdings schnell eingestehen musste, dass die klimatischen Voraussetzungen nicht wirklich passten. Anders in Piglio & Umgebung. Dort reift die Sorte Jahr für Jahr vollends aus und ergibt im Idealfall Weine, die eine ähnlich transparente Farbe wie Nebbiolo ins Glas bringen und feine, oft an Rosen, Gewürze und rote Beeren erinnernde Aromen miteinander vereinen. Dazu kommt eine filigrane, offene und einladende Struktur, die Leichtigkeit mit Länge und Substanz kombiniert und sie in eine erstaunlich sanfte und bisweilen cremige Textur bettet. Lieferten bis vor kurzem die meisten Weinbauern ihre Trauben noch bei den Genossenschaften ab, haben viele junge Winzer in den letzten Jahren beschlossen, ihre Trauben selbst zu vinifizieren. Meist ging auch noch eine Umstellung auf biologischen Weinbau damit einher. Die besten Versionen – von La Visciola, der Cantine Riccardi Ricci, Damiano Ciolli, Carlo Noro, Maria Ernesta Berucci, Casale della Ioria, Mario Macciocca, Ribelà – gehören zu den spannendsten Rotweinen, die man gegenwärtig aus dem südlichen Teil Italiens bekommen kann. Und sie werden immer mehr.

WINZER

Le Coste
Andrea Occhipinti
Podere Orto
Azienda Sangionevale
Merumalia
La Visciola
Damiano Ciolli
Cantina Ricardi Reale
Carlo Noro
Tre Botti
Berucci
Marco Antonelli
Mario Macciocca
Ribelà
Casale della Ioria

 

Detailbesprechungen latinischer Regionen

 

EIN PAAR EMPFEHLUNGEN

Weiß & Orange

Le Coste: Bianco (Procanico)
Podere Orto: Moscato
Marco Antonelli: Le Nuvole (Trebbiano/Malvasia/Ottonese)
Mario Macciocca: Monocromo Bianco (Passerina)
Carlo Noro: Passerina
La Viscola: Donna Rosa (Passerina)
Ribelà: Lazio bianco (malvasia in purezza)

ROSSO

Le Coste: Rosso
Le Coste: Litrozzo rosso
Le Coste: Alea Iacta est (Aleatico)
Podere Orto: Rosso (Greghetto, Ciliegiolo)
Damiano Ciolli: Silene (Cesanese)
La Visciola: Ju Quarto (Cesanese)
La Visciola: Priore Mozzatta (Cesanese)
Carlo Noro: Collefurno (Cesanese)
Marco Antonelli: Il Simposio (Cesanese)
Berucci: L’Onda (Cesanese)
Cantina Ricardi Reale: Collepazzo
Cantina Ricardi Reale: Neccio
Mario Macciocca Cesanese Civitella
Ribelà: Cesanese

Simona de Vecchis und Giuliano Salesi pflanzten 2007 ihre ersten Rebstöcke in die Erde der Alta Tuscia, einen umwerfend schönen Landstrich, der sich noch in Lazio und fast schon in der Toskana und Umbrien befindet. Davor betrieben die beiden in Rom ein Übersetzungsbüro, doch irgendwann hatten sie von der Stadt, dem Verkehr, den Touristen, dem Lärm und was es sonst noch alles gegen Rom anzuführen gibt die Schnauze voll und zogen hinauf an die Grenze und auch hinauf in die Hügel (ein paar Jahre früher als die beiden, schlugen Gian Marco Antonuzzi und Clementine Bouveron vom heute zu Kultstatus gekommenen Weingut Le Coste fast denselben Weg ein – sie zogen von Rom nach Gradoli und keltern dort seither Weine, die in ihrer radikal interventionsfreien Herangehensweise neue Maßstäbe für die Region setzten, an denen sich auch Simona und Giuliano orientieren).

Auf 602 Meter liegt ihr neues Domizil, die Podere Orto die bis ins 18. Jahrhundert hinein als Rinderfarm für das nahegelegene Castello di Trevinano fungierte und von den beiden über Jahre hinweg restauriert wurde. Hinter dem Haus, auf einem leicht abfallenden, einen einzigen Hektar umfassenden Hang, stehen heute allerdings keine Kühe mehr rum, sondern Reben, um genauer zu sein, Moscato Bianco, Procanico, Verdello,  Greco, Grecchetto, Romanesco, Malvasia, Roscetto, Sangiovese, Greghetto Rosso und Ciliegiolo, Klassiker der Region, allesamt in albarello erzogen. Ein Teil des Hanges exponiert sich nach Norden, was sich definitiv positiv auf den Trinkfluss der Weißweine auswirkt, der andere Teil mit den roten Sorten schaut nach Süden. Die Böden basieren auf Quarz. Gewirtschaftet wird ökologisch, traditionell, biodynamisch und hauptsächlich per Hand. Der Moscato und die roten Sorten werden separat gelesen, die übrigen 6 weißen Sorten dagegen liefern die Basis für einen Gemischten Satz.

Man keltert insgesamt drei Weine, wobei die Prinzipien grundsätzlich ähnlich sind. Die Trauben der beiden Weißweine werden im  Keller nochmals durchselektiert und danach abgepresst. Die Gärung startet spontan, Temperaturkontrolle gibt es keine. Der biologische Säureabbau findet meist im Frühjahr statt, danach bleibt der Wein noch ein paar Monate auf der Hefe, ehe sowohl der reinsortige Moscato wie auch die weiße Cuvèe nach ca. 1 Jahr unfiltriert gefüllt werden. Vergoren und ausgebaut wird in Stahl, wobei vor allem der Moscato schwer beeindruckt. Die Aromen sind filigran und ehe von Kräutern als von tiefer Frucht geprägt, die Struktur ist glasklar, druckvoll, saftig, der Stil puristisch und streng. Die rote Cuvèe gärt spontan für gewöhnlich zehn bis 15 Tage, danach geht es in Stahl oder Glasbehältnisse – es wird wie schon bei den weißen Weinen ein Jahr lang gewartet und dann unfiltriert gefüllt. Sulfitbeigaben gibt es nur dann, wenn es Simona und Giuliano notwendig erscheint. Anders als beim Moscato, dominiert beim Rosso die Frucht: rote Beeren & Kirschen, die aber sukzessive von Pfeffer und Blütenaromen aufgepeppt werden. Der Wein ist geradlinig, dicht, saftig, lebendig und spiegelt die Höhe und Topographie der Alta Tuscia wieder.

Zum Weingut gehört auch ein kleines Bed & Breakfast und wenn man den Bildern und den Erzählungen von Simona glauben darf, lohnt es sich allemal dort abzusteigen, um ein paar Tage die Gegend und die Weine zu erkunden.


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